Seit seiner Gründung im Jahr 2009 sucht, findet, qualifiziert und begleitet Context e.V. Menschen, die Kindern als Erziehungsstellenfamilie gemäß § 33 Satz 2 SGB VIII ein liebevolles Zuhause geben. Um zu verstehen, was das genau bedeutet und warum wir mit Erziehungsstellen arbeiten, müssen wir zu Beginn kurz den Unterschied zwischen den verschiedenen Pflegeformen für Kinder und Jugendliche (Erziehungsstelle, Pflegefamilie und Sozialpädagogische Lebensgemeinschaft) erklären.
Die Vollzeitpflege eines Kindes in einer Pflegefamilie oder einer Erziehungsstelle ist im § 33 SGB VIII (Sozialgesetzbuch 8) beschrieben. Beides zählt zu den „familiären Unterbringungen“. Pflege- und Erziehungsstelleneltern sind Privatpersonen. Sie stehen in keinem Anstellungsverhältnis beim Jugendamt oder bei einem Träger. Eine pädagogische Ausbildung ist von Vorteil, aber keine Voraussetzung dafür, ein Kind aufzunehmen.
Hinweis: Die Erziehungsstelle wird oft auch Fachpflegefamilie, Sonderpflege oder Sonderpflegefamilie genannt.
Ein wichtiger Unterschied zwischen der Pflegefamilie und der Erziehungsstelle ist die Begleitung und fachliche Beratung einer Erziehungsstelle durch einen Träger wie Context e.V. Das bedeutet in unserem Fall, dass wir jeder unserer Erziehungsstellen eine fachliche Beratung an die Seite stellen. Diese Fachberatung berät und begleitet die Familie und arbeitet mit dem Kind.
Es gibt noch weitere Unterschiede zwischen diesen beiden Formen der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, auf die wir bald in einem weiteren Beitrag eingehen.
Die Sozialpädagogische Lebensgemeinschaft wirkt auf den ersten Blick wie eine Pflegefamilie oder Erziehungsstelle. Auch hier leben Kinder oder Jugendliche in einem familiären Kontext. Die Sozialpädagogische Lebensgemeinschaft (abgekürzt SPLG) gehört jedoch zu den „stationären Unterbringungsformen“, wie eine Wohngruppe oder ein Kinderheim. Die SPLG stellt eine berufliche Tätigkeit dar. Mindestens eine Betreuungsperson muss über einen sozialpädagogischen Abschluss verfügen und darf dann bis zu zwei Kinder in der eigenen Familie betreuen, bzw. mit bis zu zwei Kindern in der eigenen Familie arbeiten. Die Ausübung der Tätigkeit erfolgt in Selbstständigkeit mit einer Betriebserlaubnis oder in Anstellung bei einem Träger.
Soweit eine grobe Abgrenzung der verschiedenen Pflegeformen.
Die Frage, warum wir mit Erziehungsstellen und nicht mit Pflegefamilien arbeiten, ist leicht zu beantworten. Denn Pflegefamilien erhalten keine Beratung oder Betreuung durch einen externen Träger. Sie sind allein beim Jugendamt angebunden.
Bei Erziehungsstellen ist es anders. Hier beauftragt das Jugendamt einen Träger wie Context e.V. mit der Beratung und Begleitung der Familien. Wir arbeiten also im Auftrag von Jugendämtern. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir nicht mit Pflegefamilien arbeiten können, da wir mit dieser Aufgabe nicht durch die Jugendämter beauftragt werden, bzw. es nicht vorgesehen ist, Pflegefamilien eine Begleitung durch einen Träger zuzusprechen.
Nach § 33 Satz 1 SGB VIII soll eine Pflegefamilie Kindern und Jugendlichen ein Zuhause geben, wenn diese nicht in ihrer Herkunftsfamilie leben können. Eine Erziehungsstelle soll diese Aufgabe für entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche übernehmen (§ 33 Satz 2 SGB VIII). Der Unterschied der zwei Pflegeformen ergibt sich im Gesetzestext also über eine Entwicklungsbeeinträchtigung der vermittelten Kinder und die Idee, dass eine fachliche Begleitung die Pflegepersonen dieser Kinder unterstützen kann. Woran die Entwicklungsbeeinträchtigung gemessen wird, beschreibt der Paragraf nicht.
Die Gründe für die Unterbringung von Kindern in einer Pflege- oder Erziehungsstellenfamilie sind vielfältig. Oft haben sie keine zuverlässigen Erwachsenen, Vernachlässigung und kein sicheres Zuhause (in verschiedenen Schweregraden) erlebt. In den meisten Fällen werden die Kinder durch die zuständigen Jugendämter in Obhut genommen. Es gibt auch Kinder, deren Eltern aktiv Hilfe und die Unterbringung in einer anderen Familie beim Jugendamt anfragen, weil sie ihre Elternrolle nicht erfüllen können. Das ist jedoch eher die Ausnahme.
Die Gründe für die Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien und Erziehungsstellen sind vielfältig und jedes Kind bringt seinen eigenen Rucksack an Erfahrungen mit. In welcher Form sich diese auf die Entwicklung eines Kindes auswirken, ist nicht vorauszusehen und zeigt sich individuell.
Wir vertreten die Haltung, dass es immer ein Trauma für die kindgerechte Entwicklung bedeutet, welches einer Aufarbeitung bedarf, wenn ein Kind nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen kann. Die Pflege- oder Erziehungsstelleneltern sind nun herausgefordert, damit umzugehen und das Kind in seiner Entwicklung zu fördern. An dieser Stelle unterstützen und beraten Träger wie wir die neuen Eltern fachlich – wenn sie Erziehungsstelleneltern nach § 33 Satz 2 SGB VIII sind. Pflegeeltern erhalten diese Form der Unterstützung in der Regel nicht, obwohl sie häufig vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Im Gegensatz zu Pflegefamilien bekommen Erziehungsstelleneltern einen Träger an die Seite gestellt, der sie fachlich unterstützt, berät, begleitet und schult. In unserem Fall findet die Fachberatung in den Familien wöchentlich statt. Hinzu kommt die Arbeit unserer Fachberater:innen mit dem Kind und unsere freizeitpädagogischen Maßnahmen und Angebote.
Die Familie darf einfach Familie sein und die Kinder dürfen einen neuen Familienalltag kennenlernen und stabile Bindungen und Beziehungen eingehen. Damit diese auch langfristig Bestand haben und die Erziehungsstelleneltern mit Herausforderungen gut und reflektiert umgehen können, bringen wir unsere Fachlichkeit ein. Und dass ein Blick von außen auf eine herausfordernde Situation hilfreich sein kann, kennt wahrscheinlich jeder: Manchmal sieht man einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Umgangskontakte mit den leiblichen Eltern erhalten dem Kind für seine gesunde Entwicklung und die Integration seiner unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile den Bezug zu seinen Wurzeln. Darüber hinaus sind sie gesetzlich verankert.
Diese Umgangskontakte sind eine Herausforderung für alle Beteiligten – für Kinder und Eltern. Pflegefamilien organisieren die sogenannten Besuchskontakte in Eigenregie. Wir hingegen begleiten die Kontakte unserer Erziehungsstellenkinder und bereiten die Termine in Gesprächen vor und nach. Dafür stehen wir in engem Austausch mit dem Kind, der leiblichen Familie und den Erziehungsstelleneltern. Von Anspannung und Gefühlschaos sind meistens alle Beteiligten gleichermaßen betroffen. Wir können mit Blick auf das Wohl des Kindes fachlich beraten, Sicherheit geben und in Konfliktsituationen vermittelnd handeln.
Wie komplex das von Erwartungen, Rollenmustern und Loyalitätsfragen geprägte Themengebiet ist, erfahren Sie im Artikel Umgangs- und Besuchskontakte – ein Konfliktfeld?
Die Möglichkeit, mit unserer Arbeit das emotionsgeladene Spannungsfeld „Umgangs- und Besuchskontakte“ professionell zu begleiten ist auf unserer Liste ein weiterer Punkt auf der Seite der Erziehungsstellenfamilie. Zum Wohle des Kindes und der weiteren Beteiligten besitzt die Begleitung, wie die Vor- und Nachbereitung dieser Termine einen hohen Stellenwert in unserer Arbeit.
Die Antwort auf die Frage, warum Context e.V. mit Erziehungsstellen statt mit Sozialpädagogischen Lebensgemeinschaften (SPLG) arbeitet, lässt sich relativ kurz beantworten: Das Fundament unseres Konzeptes baut auf einer neutralen Beraterrolle für Kind, Erziehungsstelleneltern, Herkunftseltern und Kooperationspartner auf. Damit verfolgen wir einen komplett gegensätzlichen Ansatz zur SPLG.
In der SPLG sind Erziehungsstelleneltern und Fachberatung in einer Rolle verschmolzen. Die Person, die ihr Fachwissen mit einbringt, ist gleichzeitig ein emotional eingebundenes Familienmitglied in der Elternrolle. Es gibt viele Punkte, die für dieses Konstrukt und diese Verschmelzung sprechen. Sie entspricht jedoch nicht dem von uns verfolgten Ansatz.
In allen zwischenmenschlichen Beziehungen sind Emotionen im Spiel. Wie bereits oben im Text beschrieben, schätzen wir es, mit notwendigem Abstand und Neutralität auf eine Lebenslage zu blicken. Auch schauen wir gerne von verschiedenen Blickwinkeln auf eine Situation. Gleichzeitig ist die SPLG eine berufliche Tätigkeit und es können finanzielle Abhängigkeiten in diesem Setting entstehen, die möglicherweise pädagogische Entscheidungen beeinflussen.
In vielen Bundesländern gilt die SPLG mittlerweile als ein Auslaufmodell.
Welche Voraussetzungen Menschen mitbringen sollten, die mit dem Gedanken spielen als Erziehungsstelle oder Pflegefamilie ein Kind aufzunehmen, erfahren Sie hier.
Eigne ich mich als Pflege- oder Erziehungsstellenfamilie?
21. August 2024
13. August 2024