• Swana Steinhoff & Christina Terbrack
  • 21. August 2024
  • Familie
  • 6 Minuten Lesezeit

Kinderrechte

Die wichtigsten Kinderrechte und ihre Entstehung

Kinder haben Rechte! Auch wenn Kinderrechte bislang noch nicht im Grundgesetz verankert sind, ist es die oberste Pflicht für Sorgeberechtigte, Jugendamt und uns, als Kinder- und Jugendhilfeträger Context e.V., diese zu gewährleisten und zu schützen. Wir als Fachkräfte für Kinder und Jugendliche sorgen nicht nur tagtäglich dafür, Kinderrechte zu stärken, sondern setzen uns auch dafür ein, dass Erwachsene und Kinder über Kinderrechte informiert werden.

Besonders relevant ist dieses Thema für Context e.V. als Träger der Jugendhilfe, weil Kinder, die in Erziehungsstellen oder Bereitschaftspflegefamilien aufgenommen werden, in der Regel schon die Erfahrung machen mussten, dass ihre Rechte verletzt wurden. In diesem Artikel soll ein kurzer Überblick darüber gegeben werden, woher die Kinderrechte stammen und welche Kinderrechte es überhaupt gibt.

Die Geschichte der Kinderrechte

Vor der Industrialisierung wurden Kinder als Besitz der Eltern, beziehungsweise des Vaters angesehen. Dieser durfte über Leben, Ausbildung und Arbeitskraft des Kindes verfügen. Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht für Jungen und Mädchen in Preußen im Jahr 1717 wurde eine erste klare Unterscheidung zwischen der Lebenswelt der Kinder und der Lebenswelt der Erwachsenen erkennbar. Andere Länder hatten zuvor bereits ähnliche Ansätze verfolgt, jedoch wurden nicht alle Kinder darin eingeschlossen.

Diese Unterscheidung der Lebenswelten von Kindern und Erwachsenen sowie weltweit bedeutungsvolle Ereignisse, wie beispielsweise die Revolution in Frankreich 1789, sorgten für ein Umdenken.

Mines Act

1833 wurde in Großbritannien die Fabrikarbeit für Kinder unter 9 Jahren durch den English Factories Act verboten und im Jahr 1842 wurde die Arbeit in Minen für alle Frauen sowie Mädchen und Jungen unter 10 Jahren durch den Mines Act begrenzt.

Weimarer Verfassung

Auch in Deutschland ging die Entwicklung weiter. Im Jahr 1896 wurden Strafen für Eltern eingeführt, die ihre Kinder misshandelten oder vernachlässigten. In der Weimarer Verfassung wurde dann im Jahr 1919 eine allgemeine Schulpflicht für ganz Deutschland festgelegt, mit mindestens acht Jahren Volksschule und anschließender Fortbildungsschule.

Erste Verträge zu Kinderrechten

Am 24. September 1924 wurde die „Charta“ oder auch Genfer Erklärung von der Generalversammlung des Völkerbundes verabschiedet, angestoßen von der Britin Eglantyne Jebb. Der Völkerbund war ein Zusammenschluss von Staaten der gesamten Welt, lokalisiert in Genf. Er zielte darauf ab, den Frieden zu sichern. Eglantyne Jebb formulierte folgende Grundsätze, die sogenannte „Children’s Charter“:

„Das Kind soll in der Lage sein, sich sowohl in materieller wie in geistiger Hinsicht in natürlicher Weise zu entwickeln. Das hungernde Kind soll genährt werden; das kranke Kind soll gepflegt werden; das zurückgebliebene Kind soll ermuntert werden; das verirrte Kind soll auf den guten Weg geführt werden; das verwaiste und verlassene Kind soll aufgenommen und unterstützt werden. Dem Kind soll in Zeiten der Not zuerst Hilfe zuteilwerden. Das Kind soll in die Lage versetzt werden, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und soll gegen jede Ausbeutung geschützt werden. Das Kind soll in dem Gedanken erzogen werden, seine besten Kräfte in den Dienst seiner Mitmenschen zu stellen.“ Diese Satzung wurde als Genfer Erklärung verabschiedet.

Nach dem zweiten Weltkrieg

Nach dem zweiten Weltkrieg sollte die Genfer Erklärung angepasst und erneuert werden, im Fokus stand damals aber die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie wurde 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Erst am 20. November 1959 wurde eine „Erklärung der Rechte des Kindes“ beschlossen, welche erste konkrete, aber nicht verbindliche Rechte beinhaltete.

Die ersten universalen Menschenrechtsverträge wurden im UNO-Pakt von 1966 vereinbart und enthielten auch Artikel zu Kinderrechten, wie das Diskriminierungsverbot oder das Recht auf Namen und auf Staatsangehörigkeit. Auch diese Vereinbarungen waren rechtlich nicht bindend.

Anstoß für die Kinderrechtskonvention gab schließlich das Internationale Jahr des Kindes 1979. In diesem Jahr verfasste die Regierung des Landes Polen einen Entwurf der Kinderrechtskonvention, basierend auf der Erklärung von 1959. Der Entwurf wurde überarbeitet und erweitert und bildete die Grundlage für die endgültige Fassung der UN-Kinderrechtskonvention.[1]

Die UN-Kinderrechtskonvention

Seit dem 20. November 1989 gibt es einen weltweit vereinbarten Vertrag über Kinderrechte. Fast alle Nationen haben diesen in der UN-Generalversammlung (United Nations) unterzeichnet. Der Vertrag nennt sich „UN-Kinderrechtskonvention.“

Vorab fanden über zehn Jahre hinweg Gespräche über die Ausgestaltung der Konvention statt und auch im Nachgang entstanden noch Zusatzprotokolle, in denen die Kinderrechte ergänzt wurden. Fast alle Staaten der Welt haben die Kinderrechtskonvention und die Zusatzprotokolle unterschrieben und ratifiziert, also verfassungsrechtlich verankert.

Seit dem 5. April 1992 gilt die UN-Kinderrechtskonvention offiziell in Deutschland. Sie bezieht sich auf alle Menschen in Deutschland bis zur Volljährigkeit mit achtzehn Jahren und besteht aus 54 Artikeln.

Die vier Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention

Es gibt vier Grundprinzipien, auf denen die UN-Kinderrechtskonvention aufbaut.

  1. Diskriminierungsverbot

Das Diskriminierungsverbot – oder positiv formuliert das Recht auf Gleichheit – bezieht sich auf das Geschlecht, die Herkunft, die Religionszugehörigkeit, Sprache, Behinderung und politische Ansichten der Kinder oder Eltern. Kinder dürfen aufgrund dieser Faktoren nicht benachteiligt werden, alle Kinder haben ein Recht auf Schutz, Förderung, Bildung und Beteiligung.

  1. Recht auf Leben und persönliche Entwicklung

Das Recht auf Leben und persönliche Entwicklung beinhaltet das Recht, in einem geschützten Rahmen aufzuwachsen und eine selbstbestimmte und gesellschaftsfähige Persönlichkeit zu entfalten. Entwicklung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sollen gefördert werden. Zu diesem Recht gehört auch der Schutz vor Krankheiten und vor Gewalt.

  1. Kindeswohlvorrang/Kindeswohlprinzip

Der Kindeswohlvorrang oder das Kindeswohlprinzip verpflichtet öffentliche und private Institutionen, bei Entscheidungen und Maßnahmen vorrangig das Kindeswohl zu berücksichtigen.

  1. Recht auf Beteiligung

Das letzte Grundprinzip ist das Recht auf Beteiligung: Kinder und Jugendliche dürfen Anliegen und Beschwerden äußern und können partizipieren, abhängig von ihrem Alter und ihrer Reife.

Welche Kinderrechte gibt es?

Die Frage, welche Kinderrechte es gibt, lässt sich nicht so leicht beantworten. In der UN-Kinderrechtskonvention werden 41 Kinderrechte aufgeführt, die zum Beispiel auf der Website von Unicef nachlesbar sind. Diese werden noch einmal unterteilt in die Kategorien Schutzrechte, Förderungsrechte und Beteiligungsrechte.

Die Schutzrechte sollen Kinder schützen vor körperlicher und seelischer Gewalt, sexuellen Übergriffen, Verwahrlosung, Kinderhandel und wirtschaftlicher Ausbeutung.

Die Förderungsrechte beinhalten diejenigen Rechte, die die Grundbedürfnisse der Kinder sicherstellen, beispielsweise ihre Gesundheit, Ernährung, Bildung und angemessene Lebensbedingungen sowie eine persönliche und staatlich anerkannte Identität.

Die Beteiligungsrechte fassen zusammen, dass Kinder ihre Meinung äußern dürfen und an Entscheidungen beteiligt werden müssen, entsprechend ihres Alters und Entwicklungsstandes. Kinder müssen außerdem Zugang zu kind- und jugendgerechten Informationen in Medien erhalten. Zwei Artikel schützen zudem die Familie und das Recht der Eltern auf Erziehung.[2]

Die wichtigsten Kinderrechte

Es gibt verschiedene anerkannte Institutionen, die sich weltweit und speziell in Deutschland mit der Einhaltung, Umsetzung und Weiterentwicklung von Kinderrechten beschäftigen. Dabei wurden aus der UN-Kinderrechtskonvention verschiedene Grundrechte für Kinder abgeleitet.

Die zehn Kinderrechte von Unicef

Unicef ist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UN) und setzt sich weltweit für die Einhaltung und Umsetzung von Kinderrechten ein. Basierend auf der UN-Kinderrechtskonvention, hat Unicef folgende zehn Kinderrechte formuliert:

Das Recht auf einen Namen, das Recht auf Gesundheit und eine saubere Umwelt, das Recht auf Bildung, das Recht auf Spiel und Freizeit, Information und Beteiligung, auf Schutz vor Gewalt und das Recht auf Privatsphäre, das Recht auf Eltern, auf den Schutz vor Ausbeutung sowie Schutz im Krieg und auf der Flucht und zuletzt besondere Rechte bei einer Behinderung.

Die zehn Kinderrechte des Kinderschutzbundes

Der Kinderschutzbund setzt sich für die Rechte aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland ein. Er nennt als wichtigste Kinderrechte das Recht auf Bildung, das Recht auf Schutz vor Gewalt, das Recht auf Spiel und Freizeit, das Recht auf Schutz der Privatsphäre, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Zugang zu Medien, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Gleichheit, das Recht auf besondere Fürsorge, insbesondere bei Behinderung und zuletzt das Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht.

Die zehn Kinderrechte der Bundeszentrale für politische Bildung

  1. Kein Kind darf benachteiligt werden (Gleichheit).
  2. Kinder haben das Recht, gesund zu leben, Geborgenheit zu finden und keine Not zu leiden (Gesundheit).
  3. Kinder haben das Recht, bei ihren Eltern zu leben. Leben die Eltern nicht zusammen, haben Kinder das Recht, beide Eltern regelmäßig zu treffen (Elterliche Fürsorge).
  4. Kinder haben das Recht, zu spielen, sich zu erholen und künstlerisch tätig zu sein (Spiel und Freizeit).
  5. Kinder haben das Recht, zu lernen und eine Ausbildung zu machen, die ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entspricht (Bildung und Kultur).
  6. Kinder haben das Recht, bei allen Fragen, die sie betreffen, sich zu informieren, mitzubestimmen und zu sagen, was sie denken (Meinungsfreiheit und Information).
  7. Kinder haben das Recht, dass ihr Privatleben und ihre Würde geachtet werden (Würde und Identität).
  8. Kinder haben das Recht auf Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung (Schutz vor Missbrauch).
  9. Kinder haben das Recht, im Krieg und auf der Flucht besonders geschützt zu werden (Schutz im Krieg und auf der Flucht).
  10. Kinder mit Behinderung haben das Recht auf besondere Fürsorge und Förderung, damit sie aktiv am Leben teilnehmen können (besondere Fürsorge).

Fazit

In erster Linie finden sich in den formulierten Kinderrechten von Unicef, Kinderschutzbund und der Bundeszentrale für politische Bildung Gemeinsamkeiten wie das Recht auf Bildung, das Recht auf Spiel und Freizeit, das Recht auf Privatsphäre oder ein Privatleben, das Recht auf Fürsorge durch Erwachsene (vornehmlich die Eltern) – insbesondere für Kinder mit Behinderungen, sowie das Recht auf Gesundheit. In allen Artikeln wird außerdem der Schutz vor Gewalt und Ausbeutung als bedeutendes Recht beschrieben, auch im Krieg und auf der Flucht. Das Recht auf Gleichheit wird nur von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Kinderschutzbund aufgegriffen. Das besonders wichtige Zusammenspiel von der Bereitstellung von Informationen für Kinder, freier Meinungsäußerung und Beteiligung wird von der Bundeszentrale für politische Bildung beschrieben, bei Unicef tauchen alle drei Faktoren im Fließtext auf, auf der Website des Kinderschutzbundes wird die freie Meinungsäußerung und Mitbestimmung gefordert.

Kinderrechte thematisieren

Wenn Sie Kinderrechte mit ihrem Kind thematisieren wollen, können wir die kindgerecht aufbereiteten Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung empfehlen, auf der Website finden Sie ein Wimmelbild, eine Bilderpaarsuche sowie Spielideen und ein Quiz rund um das Thema Kinderrechte.

Für die Erwachsenen gibt es auf derselben Website ein lesenswertes Heft aus der Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ mit dem Titel „Kinderrechte“, welches als kostenloses Pdf-Dokument verfügbar ist. Das Heft behandelt Artikel zu den Kinderrechten sowie weiterführende Themen: Die Bedeutung von Glück für Kinder, eine Bilanz der UN-Kinderrechtskonvention, ein Kommentar zur Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz, zu Partizipation, Gewalt und Mobbing an Schulen und viele weitere, spannende und aktuelle Texte.

Bundeszentrale für politische Bildung

Quellen:

Unicef – eine kurze Geschichte der Kinderrechte

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Kinderrechtskonvention

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