Das Thema sexuelle und vor allem geschlechtliche Vielfalt wird in der Öffentlichkeit immer präsenter – auch bei Kindern und Jugendlichen. Denn diese wissen oft sehr früh, ob sie sich ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen oder nicht. Bei der (Eigen-) Definition tauchen dabei oft Begriffe wie Trans*gender, Trans* oder Inter* auf. Aber was bedeutet das eigentlich genau?
Wir wollen den verschiedenen Begrifflichkeiten auf die Spur gehen und den Blick auf junge Trans* und Inter* richten. Was bedeutet es für junge Menschen trans* oder inter* zu sein? Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Trans* und Inter* Kinder und ihre Familien? Und welche Rückschlüsse lassen sich daraus für eine geschlechteroffene Kinder- und Jugendarbeit ziehen?
Mila, 12 Jahre, trans*, sagt zum Thema Transgeschlechtlichkeit: „Seht mich nicht als etwas Besonderes, sondern so wie alle anderen auch!“
Dieses Zitat möchten wir allen Interessierten mit auf den Weg geben, bevor wir tiefer in das Thema Trans* und Inter* einsteigen. Denn bei allen Definitionen und Ausarbeitungen geht es doch im Kern darum, dass alle Menschen gleich sind – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Religion und ihrer sexuellen Orientierung.
Nun wollen wir aber erstmal mit der Abgrenzung der verschiedenen Begrifflichkeiten beginnen. Was bedeuten trans* und inter*?
Trans*Menschen sind Personen, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht identifizieren können. So fühlen sich Trans*Menschen, die als Frau sozialisiert und angesprochen werden zum Beispiel dem männlichen Geschlecht zugehörig oder bei der Geburt als männlich identifizierte Menschen fühlen sich als Frauen. Trans*Männer sind somit Männer, die in einem „Frauenkörper“ geboren wurden bzw. als Frau sozialisiert wurden. Trans*Frauen sind Menschen, denen bei der Geburt ein männlicher Körper zugesprochen worden ist.
Das Sternchen bei trans* gilt als Platzhalter für unterschiedliche Geschlechtsidentitäten wie Transsexuell, Transgender, Transident, transgeschlechtlich. Dabei werden von einigen Trans*Menschen die Worte transsexuell oder Transsexualität abgelehnt, da diese Begriffe Anfang des 20. Jahrhunderts in der Medizin entstanden sind, um die Menschen zu pathologisieren und sie damit als krank zu klassifizieren. Im Jahre 2018 wurde Transsexualität aus der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen.
Zudem lässt die Wortendung -sexualität oder -sexuell vermuten, dass Transsexualität etwas mit sexueller Orientierung zu tun haben könnte. Die sexuelle Orientierung eines Menschen, ob hetero-, homo- oder pansexuell, hat jedoch nichts mit der geschlechtlichen Identität, ob männlich, weiblich oder non-binär, zu tun. Als non-binär bezeichnen sich Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich verorten lassen wollen.
Es gibt Menschen, bei denen der Genitaltrakt bei der Geburt medizinisch keine eindeutige Zuschreibung zulässt. Früher durfte dieser operativ angepasst werden. Dies ist jedoch seit dem Jahre 2021 in Deutschland verboten. Neben dem Geschlechtseintrag m wie männlich oder w wie weiblich gibt es daher auch d wie divers.
Es ist ebenso möglich, dass bei der Geburt ein eindeutiges Geschlechtsmerkmal erkannt wurde, Penis oder Vulva, und sich im Erwachsenenalter herausstellt, dass weitere Organe, die z.B. für die Entstehung eines neuen Lebewesens benötigt werden, nicht im Körper angelegt sind.
Rollenmuster durch Geschlechtszuschreibung sind mal deutlicher, mal unterschwelliger in unserer Gesellschaft sichtbar. Ihr Ursprung beruht auf dem Ideal der Zweigeschlechtlichkeit (Mann und Frau) – eine Idee, die in der europäischen Moderne begonnen und sich festgeschrieben hat. Die Natur kennt jedoch mehr als zwei Geschlechter. Interessierte finden dazu unten im Text weitere Informationen.
Die Geschlechtszuschreibung bzw. -festlegung geschieht unmittelbar nach der Geburt eines Menschen. Je nach Genitaltrakt wird ein Neugeborenes als Junge oder als Mädchen bezeichnet und das Geschlecht entsprechend festgelegt. Daran schließen sich die Namensgebung (Mädchen- oder Jungenname), oft auch die Farbauswahl bei Kleidung und Kinderzimmer (blau für Jungen und rosa für Mädchen), die Spielzeuge (Autos für Jungen, Puppen für Mädchen) und auch eine unterschiedliche Ansprache an. Alle diese Zuschreibungen sind abhängig von der Geschlechtszuschreibung, die das Baby spätestens bei der Geburt erhält. Häufig beginnt die Geschlechtszuschreibung bereits während der Schwangerschaft.
Zementiert wird die Geschlechtlichkeit dann weiter durch die Blicke in den Kinderwagen, wenn als Erstes gefragt wird: „Was ist es denn? Mädchen oder Junge?“ Manche Eltern entgehen der Frage, indem das Baby mit einer geschlechtsspezifischen Farbe ausgestattet wird. So bekommen Außenstehende sofort Sicherheit vermittelt in ihrer direkten Ansprache des/der neuen Erdenbürger:in.
Auch im weiteren Leben begleiten uns diese Rollenmuster, die auf unsere Geschlechtszuschreibung zurückgehen. Ein Beispiel: Achten sie beim nächsten Zeitungskauf mal auf die Sortierung der Zeitschriften und Magazine im Geschäft. Es gibt es sehr wahrscheinlich eine Ecke für Frauen/Familie/Mode und eine Ecke für Männer/Autos/Computer.
Was passiert nun, wenn ein Mensch nicht in dieses Ideal der Zweigeschlechtlichkeit passt und sich entweder keinem oder einem anderen Geschlecht zugehörig fühlt?
Transition bedeutet die Anpassung/Annäherung des Körpers an die Geschlechtsidentität eines Menschen. Fühlt sich ein Trans*Mensch z.B. als Frau, hat aber einen männlichen Geschlechtstrakt, so kann der Körper durch verschiedene Eingriffe und Behandlungen dem gefühlten Geschlecht angepasst werden. Voraussetzung dafür ist immer eine begleitende Psychotherapie, also eine psychotherapeutische Indikation, damit die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden – ebenso Voraussetzungen sind Volljährigkeit oder Zustimmung des/der Sorgeberechtigten so wie der Ausschluss von inter*.
Trifft dies alles zu gibt es für Trans* medizinische Möglichkeiten wie z.B. Hormonbehandlungen, Logopädie zur Stimmentwicklung, Brustabnahme oder Brustaufbau, Laserepilation oder feminisierende Gesichtsoperationionen, Penoidaufbau oder Neovaginaaufbau.
Trans*Kinder wissen häufig schon sehr früh und sehr sicher, dass sie sich ihrem zugeschriebenen Geschlecht nicht zugehörig fühlen. Da für sie aufgrund der körperlichen Entwicklung eine Transition noch nicht möglich ist, kann die Einnahme von Hormonblockern für Trans*Kinder und Jugendlich erstmal hilfreich sein, bevor die Pubertät einsetzt. Auch hier gilt eine psychotherapeutische und endokrinologische Begleitung als Voraussetzung.
Geregelt wird dies im Transsexuellengesetz (TSG) §1. Aktuell müssen Menschen, die ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag in Geburtsregistern und Pässen ändern lassen wollen, zwei unabhängige psychiatrische Gutachten einholen und einen formlosen Antrag beim Amtsgericht stellen. In der Regel dauert das Prozedere über ein Jahr und kostet mindestens 1.500 Euro. Voraussetzung ist zudem, dass die Person mindestens drei Jahre vor der Antragstellung in ihrem „gefühlten Geschlecht“ gelebt hat. Das bedeutet zum Beispiel, dass Trans*Frauen als Frauen erkannt bzw. gelesen werden müssen, indem sie sich u.a. schminken, Kleider und lange Haare tragen und sich mit einem weiblichen Vornamen ansprechen lassen.
Vorab gibt es auch die Möglichkeit über die deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) formlos einen Ergänzungsausweis zu bestellen. Rechtlich muss der „Urkundennamen“ nur bei amtlichen Vorgängen gezeigt werden.
Bei Jugendlichen ab 14 Jahren ist, neben der Eigenversicherung des jungen Menschen ebenso die Zustimmung der/des Sorgeberechtigten erforderlich. Bei Kindern bis 14 Jahren müssen die Sorgeberechtigten eine Änderungserklärung stellen. Bei Sorgeberechtigten, die dem Änderungswunsch nicht nachkommen wollen, kann auf Antrag des Kindes das Familiengericht zum Wohle des Trans*Kindes entscheiden.
Ende des Jahres 2022 soll das neue Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet werden und das Transsexuellengesetz ablösen. Damit soll der Prozess für betroffene Menschen erleichtert werden.
Die bestehende Bundesregierung hat in diesem Jahr (Stand 2022) Eckpunkte für ein neues Selbstbestimmungsgesetz verfasst. „Dieses Gesetz soll das Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ablösen, das in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist“, so die Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen werden künftig die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag imPersonenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen.
Psychiatrische Gutachten werden damit hinfällig sowie die damit einhergehende finanzielle und psychische Belastung für die betroffenen Trans* und Inter*Menschen.
Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sind oft erste Anlaufstellen für junge Trans* und Inter*. Darum ist es umso wichtig, dass wir in der Jugendhilfe offen mit dem Thema trans* umgehen und auch andere Menschen dafür sensibilisieren.
Ein wichtiger Aspekt ist auch der Abbau von Rollenbildern, die auf ein reine Zweigeschlechtlichkeit zurückgehen. In Kinder- und Jugendgruppen sollte nicht mehr heteronormativ, sondern geschlechtsoffen gedacht werden – hin zu einem genderneutralen Umfeld ohne die Zuweisung geschlechterspezifischer Eigenschaften, Kleidung, Spielzeuge etc.
Die LGBTIQ*-Öffentlichkeit lebt es vor. So etabliert sich hier gerade, dass bei der Namensvorstellung dem Gegenüber gleichzeitig mitgeteilt wird, mit welchem Pronomen man angesprochen werden möchte. Damit können Unsicherheiten und unangenehme Situationen vermieden werden und alle fühlen sich in ihrer Person gesehen und wertgeschätzt.
Im Umkehrschluss bedeutet das nicht, dass ein Junge, der z.B. im Kindergartenalter gerne Kleider trägt, gleich ein Trans*Kind sein muss. Aber, selbst wenn … Es geht eher darum gelassener mit dem Thema der Geschlechtlichkeit umzugehen und im Vordergrund den Menschen zu sehen, der sich gerade in diesem Moment mit der Kleidung, der Frisur und sich selbst einem Geschlecht zugehörig fühlt.
Die NRW-Fachberatungsstelle „gerne anders!“ empfiehlt für die Kinder- und Jugendarbeit u.a.:
Die bBox (bunte Box für Akzeptanz und Vielfalt) der NRW-Fachberatungsstelle „gerne anders!“ gibt hilfreiche Tipps zur Thematisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und ist auch besonders geeignet für die Arbeit mit Trans* und Inter*Kindern.
Hier können Sie sich ein Bild machen, was die bBox enthält: 2021 bBox Broschüre
Die NRW-Fachberatungsstelle „gerne anders“ ist nicht nur ein kompetenter Ansprechpartner für Fachkräfte. In erster Linie bietet sie Trans* und Inter* Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern Beratungen, Schulungen und verschiedene Möglichkeiten zum Austausch untereinander.
Hier finden Sie Treffpunkte für LGBTIQ*-Jugendliche am Niederrhein und im Ruhrgebiet.
Auch „Der Paritätische Gesamtverband“ hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt, da sich in den letzten Jahren für Inter*- und Trans*-Lebenswelten politische und gesetzliche Neuerungen ergeben haben, die auch die soziale Arbeit und pädagogische Praxis in der Kinder- und Jugendhilfe verändern. Hierzu hat der Verband drei Arbeitshilfen herausgegeben und zum Download zur Verfügung gestellt. Die drei Broschüren beziehen sich auf Kinder in den Altersgruppen 0-6 und 6-12 sowie auf Jugendliche mit Inter*- bzw. Trans*-Identität und ihre spezifischen Bedarfe in den unterschiedlichen Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe, angefangen bei den Schwangerschaftsberatungsstellen, den Kindertageseinrichtungen, über die Jugendsozialarbeit bis zu stationären Wohnangeboten. Hier geht es zum Download.
Wie oben bereits kurz erwähnt, ist die Existenz von zwei klar voneinander abgegrenzten Geschlechtern ein Ideal, eine Vorstellung. Die Natur hat es anders vorgesehen. Es gibt und gab schon immer Zwischentöne und somit auch schon immer Trans* und Inter*.
In der Antike wurde nicht nach Geschlecht unterschieden, sondern zwischen Aktivität und Passivität. So waren diejenigen, die aktiv waren Männer, unabhängig davon, welches Geschlecht sie besaßen.
Im Mittelalter war der Umgang der Kirche zum Thema Hermaphroditen unaufgeregt. Die Kirche legte den Menschen lediglich nahe, sich für eines der beiden Geschlechter zu entscheiden und sich dementsprechend zu verhalten.
Zuvor gab es auch die Idee der Eingeschlechtlichkeit. Männliche und weibliche Genitalien waren gleich, lediglich einmal nach außen und einmal nach innen gekehrt.
Die Idee der Zweigeschlechtlichkeit (man ist entweder weiblich oder männlich) ist erst mit der europäischen Moderne entstanden. Im 18. Jahrhundert besagte die Theorie der Ovulisten, dass jedes Individuum in einem Ei schon vollständig vorhanden und vorgebildet sei, welches nur noch wachsen müsse. Abgekupfert wurde dies durch die Beobachtung bei Vögeln. So entstand auch die weitere Begrifflichkeit des Eierstocks bei Frauen.
Im Gegensatz dazu gab es zeitgleich die Animalkulisten, die das Gleiche annahmen, nur eingeschlossen in einem Samen.
Ende des 18. Jahrhunderts schrieb dann Wilhelm von Humboldt, dass es unendlich schwer bis unmöglich sei reine Männlichkeit und reine Weiblichkeit aufzufinden. Dennoch hat sich aus der Idee der reinen Zweigeschlechtlichkeit ein Ideal und medizinische Norm entwickelt, auch wenn Geschlechtsunterschiede eher Gradunterschiede sind, so Magnus Hirschfeld Anfang des 20. Jahrhunderts. Evolutionsbiologisch kann das bestätigt werden.
Differenzen zwischen den Individuen sind keine Unfälle, sondern ein Ziel, um sich Umweltanpassungen langsam annähern zu können. Nicht stereotype, also nicht-binäre, Variationen sind daher für das Überleben notwendig.
Sexuelle Interaktionen – auch gleichgeschlechtliche – sind evolutionäre Vorteile. Sie schaffen und festigen den Gruppenzusammenhalt, die Gruppendynamik und die Kommunikation. Individuen, die sich nicht fortpflanzen sorgen ebenso für Nähe und Zusammengehörigkeit und können in und für die Gruppe Beistand leisten.
Somit ist das Argument, dass Geschlecht ausschließlich zur Fortpflanzung dient, lediglich ein kleiner Teilaspekt. Auch aus sexualwissenschaftlicher Sicht hat Geschlecht vor allem eine soziale Dimension. Es schafft Zärtlichkeit, Befriedigung, Intimität, Kommunikation, fördert das Lustempfinden und die Geborgenheit.
Zweigeschlechtlichkeit ist ein Konstrukt des modernen Europas. Aus dem Ideal, dass es nur zwei Geschlechter gibt, sind starre Rollenmuster geworden, die mehr zuschreiben als befreien. Denn im Sinne der Zweigeschlechtlichkeit gibt es die heteronormative Zuschreibung von Mann und Frau, die sich selbstverständlich fortpflanzen. Damit liegt das Anders-Sein nicht nur bei den Menschen, die geschlechtlich* oder sexuell* aus dem normativen Raster fallen, sondern es trifft auch die Menschen, die heteronormativ leben und sich nicht reproduzieren können. Würde es Menschen mit vielfältigen Geschlechtsvarianten geben können, dann löst sich vielleicht auch der Druck der heteronormativen Reproduktion, der aktuell auch der vielfältigen kreativen Reproduktionsmedizin zugutekommt.
Das Glück des Menschen hängt nicht per se von seinem Geschlecht ab, sondern von der Auslegung dessen. Damit einher gehen oft u. a. Ungleichbehandlungen, die Auslegung wie ich mich als Mann oder Frau zu verhalten habe und welches Verhalten und Auftreten gesellschaftlich von mir erwartet wird. Würden wir von den typischen Geschlechterbildern abrücken, bräuchten wir auch keine Vereindeutigung der Geschlechter mehr, denn wichtig bleibt dann nur noch die Chemie oder, ob ich mein Gegenüber riechen kann.
Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz
Elternverein von trans*Kindern
NRW-Fachberatungsstelle „gerne anders“
Voss, Heinz-Jürgen: Making Sex Revisited download
Voss, Heinz-Jürgen, online Vortrag: Nur zwei Geschlechter?
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21. August 2024
13. August 2024